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Geschichten

Herr Maurer

Herr Maurer ist tot. Gestern Mittag ist er in seiner Wohnung gestorben, natürliche Todesursache und alles könnte seinen Weg gehen, wüßten wir, wo Frau Maurer ist.

Die Schwiegertochter, die den Toten gefunden hat, gibt zu, sie habe nur wenig Kontakt zu den „schwierigen Alten“ und man habe vor Weihnachten das letzte Mal etwas voneinander gehört. Was die alten Leute danach gemacht haben und wo die Schwiegermutter verblieben ist, könne sie nicht sagen.

Die Wohnung machte auf mich den Eindruck, als ob da schon einige Wochen die pflegende und liebende Hand der Hausfrau fehlt. Die schmutzige Wäsche hat Herr Maurer einfach in die Badewanne geworfen, in der Küche stapelt sich das Geschirr und es scheint so, als habe er vorwiegend im Wohnzimmer auf dem Sofa vor dem Fernseher geschlafen.

Angerufen hat uns der Sohn, nachdem seine Frau den Toten gefunden und der Arzt die nötigen Papiere ausgestellt hatte. Er kam dann gestern Abend auch noch vorbei, suchte einen einfachen Sarg aus und nannte uns den Friedhof, auf dem die Familie ein Familiengrab hat.

Na prima, wenn ich Montagmorgen die Termine bekomme, kann Herr Maurer theoretisch schon am Mittwoch beigesetzt werden, aber wo ist die Witwe?

„Keine Ahnung“, sagt der Sohn, „Ich habe Ihnen mal die zwei Adress- und Telefonverzeichnisse mitgebracht, sie können ja mal bei den Leuten anrufen, vielleicht ist meine Mutter für ein paar Tage irgendwo zu Besuch.“

„Das kann doch aber wirklich nicht unsere Aufgabe sein“, sage ich und füge hinzu: „Besser wäre es wohl, wenn Sie das übernehmen.“

„Für sowas habe ich keine Zeit, ich bin in der IT-Branche!“

„Ja und was, wenn wir Ihre Mutter nicht finden?“

„Dann hat sie eben Pech gehabt, dann beerdigen wir meinen Vater und gut.“

„Sie haben einen Sarg ausgesucht, uns das Grab benannt, wie sieht es denn mit dem weiteren Ablauf der Trauerfeier aus, was haben Sie sich denn da vorgestellt?“

„Na erlauben Sie mal, das soll mir doch wohl egal sein, oder? Ich habe morgen früh gleich wieder Termine auf höchster Ebene und muß am Wochenende noch die Verträge durchgehen. Da kann ich mich doch jetzt um sowas nicht kümmern.“

„Das ist doch aber schließlich Ihr Vater!“

„Vater hin, Vater her, machen Sie, was sie wollen, eine große Trauerfeier brauchen wir nicht. Am besten ist es, wenn Sie den Sarg ins Grab stellen, zuschaufeln und gut.“

Ob er sich mit seinem Vater überworfen habe, will ich wissen, ernte aber nur einen erstaunten Blick: „Ne, wieso?“
Ich schildere, daß man üblicherweise noch dies und das macht und was andere Familien so bei einer Beerdigung alles veranlassen.

„Ach so ist das. Das ist mir alles egal, das können Sie machen wie Sie wollen, ich kenne mich da nicht aus und ich habe, ehrlich gesagt, auch keine Zeit und keine Lust, mich darum zu kümmern.“

Ihm ist es egal, daß sein Vater tot ist, er macht sich keine Gedanken über den Verbleib seiner Mutter und ich lege den Opa jetzt erst mal auf Eis.

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 3 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 19. Mai 2015 | Peter Wilhelm 19. Mai 2015

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16 Jahre zuvor

Ich bin immer wieder erstaunt wie kalt die Menschen doch sein können….
Schlimm…

Rea
16 Jahre zuvor

Stimmt, die Kalzschnäzigkeit hat mich auc schockiert…
Ich hoffe nur, daß die Witwe gefunden wird (bzw. wenn das ein alter Fall ist, gefunden wurde).

16 Jahre zuvor

Ich finde es eher schlimm, was der Vater ganz offensichtlich gemacht haben muß, um es sich so mit seinem Sohn zu verderben. Von nichts kommt da nichts.

McDuck
16 Jahre zuvor

Jetzt hast du mich aber erschreckt, mein Nachbar heißt auch Maurer… 😉

Matthias
16 Jahre zuvor

Ihr müsst das verstehen, er ist aus der IT-Branche. IT!!! Branche!!!

Jule
16 Jahre zuvor

Und er hat Termine auf höchster Ebene! Da kann man halt kein großes Trara für den toten Vater organisieren!! Nicht mal ein Kleines!
Der Junge hat sie doch nciht mehr alle. ich hoffe, dass der enterbt wurde!

ITler
16 Jahre zuvor

Yep, würde ich auch so machen.

@Jule

Wir ITler verdienen sehr sehr gut, besonders, wenn wir auf höchster Ebene rumturnen. Da braucht es kein Erbe.

Cheers.

Martin
16 Jahre zuvor

Ohne jetzt allzu herzlos klingen zu wollen, aber als IT-Branchen-Angehöriger kann ich die Verhaltensweise des Sohnes nachvollziehen. Nicht, weil er so „herzlos“ ist, sondern weil sich gerade ITler angesichts der täglichen Belastungen (dumme User, Idiot von Chef, Serverausfälle nachts um halb drei, mathematisch/physikalisch unmögliche Forderungen, …) nicht nur eine Elephantenhaut, sondern geradezu eine Stahlhaut zulegen. Das kann zu einer als „Kaltherzigkeit“ wahrgenommenen Verhaltensweise führen.

Vermutlich hat der Sohn die Situation sehr wohl erkannt, fühlt sich absolut überfordert, und flüchtet sich in die Arbeit. Solche Verhaltensmuster sehe ich regelmäßig. Wobei stets zu beobachten ist, daß die Intensität des Problems unmittelbar mit der „Fluchtgeschwindigkeit“ korreliert.

Stefan
16 Jahre zuvor

Das sind die IT-ler, die in den klassischen Windows-Fehlermeldungen auftauchen: „Der Vorgang wurde auf höchster Ebene beendet.“ Das so ein oberwichtiger IT-ler überhaupt verheiratet ist, muss einen ja schon fast wundern, so wichtig, wie der Mensch ist. Wenn das Verhalten auf die Eltern schließen läßt, ist es kein Wunder, dass das Verhältnis nicht eben herzlich ist.

Traurig, sowas. Eigentlich ist Maurer jun. ein armes Würstchen, wenn er so gefühlskalt ist, wie es den Anschein hat.

Alexandra
16 Jahre zuvor

Pssst, der Bestatter verändert gelegentlich Berufsangaben – vielleicht ist der Sohn ja in Wirklichkeit in der Politik, in der Finanzbranche oder ein TV-Moderator?
Nur um daran zu erinnern, bevor sich die Diskussion allzu sehr auf IT-ler konzentriert. 😉

Ar-ras
16 Jahre zuvor

@Martin
Das ist doch eher peinlich wenn der sich mit DAUs abgeben muss 😀

Ich denke der hat eher was im Management zu tun und nicht im Computerladen um die Ecke.

MacSpi
16 Jahre zuvor

@Nörgler
Zum einen ist der Vater tot. Es wird ihn nicht mehr interessieren wie, wo und im Beiseien von wem er bestattet wird.

Und das man mal einfach keine Zeit hat, das kann vorkommen. Besonders wenn man kein Angestellter ist muss man sich halt kümmern.

Daniel
16 Jahre zuvor

Wenn der Sohn Tom alles so machen lässt, wie er will – war er dann auch bereit, die Rechnung zu zahlen?

16 Jahre zuvor

liebe IT-ler, meine jugend war auch scheisse. viele grüsse, schneck

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Man muß nicht zur Beerdigung. Die Totengräber arbeiten schneller und effizienter ohne Kontrolle durch Angehörige.Und die Ehefrau? Die wird halt zur Kur sein, oder im Urlaub.
Ansonsten finde ich, hat „Gabriel“ schon recht, von nichts kommt nichts.
Die persönlichen Fragen, -OK-Doch die Vorhaltungen verkneif ich mir immer. Sie werden ihren Grund haben. Meistens erzählen sie es mir von selbst, ohne dass man bohrt. Danach kann man oft nachvollziehen warum, und kann es ihnen nicht verdenken.

Klaus Peter
16 Jahre zuvor

Also bevor hier alle über den Sohn herziehen und ihm wer weiß was wünscht, sollte man auch mal darüber nachdenken, dass der Mensch unter Schock stehen könnte und sich deshalb so verhält.

Wenn man nichts genaues weiß, dass sollte man sich mit Kommentaren, so wie ihr sie gebt, zurückhalten.

Gruß
Klaus

LeSmou
16 Jahre zuvor

sehe das ähnlich wie Klaus Peter.
@Jule: erklär mir mal wie du im deutchen rechtssystem jemanden enterben willst? sofern die frau noch lebt ist sowieso erstmal sie erbin. und den pflichtteil bekommt der sohn so oder so. da müsste schon einiges passieren damit man als sohn kein erbe bekommt…

jeder geht nunmal anders mit dem tod um. jedem so wie es ihm am besten passt. nur weil sein verhalten nicht der norm entspricht ist der doch nicht gleich gefühllos (wobei das mMn eh nicht existiert).

pluvia
Reply to  LeSmou
8 Jahre zuvor

@LeSmou:
Auch, wenn die Antwort jetzt spät kommt: § 1938 BGB wäre z.B. eine Möglichkeit (http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1938.html). Bestimmten Personen kann mal hingegen grundsätzlich nicht ihren Anspruch auf einen Pflichtteil nehmen. Sie sind dann aber gerade NICHT Erben, erhalten wertmäßig – abgesehen von bestimmten Sondersituationen – deutlich weniger und sind nicht dinglich am Nachlass berechtigt.

16 Jahre zuvor

Kinder haften für ihre Eltern.

16 Jahre zuvor

Manchmal muss man sich nicht mal überwerfen. Es kann einfach sein, dass die Eltern nicht mehr Teil des eigenen Lebens sind.
Man hatte außer den Pflichtbesuchen (und zum Teil nicht mal die) einfach keinen Kontakt, keine gemeinsame Basis oder Interessen.
Wenn man dann in der Firma um sein berufliches Überleben kämpft, will und kann man deren Tod einfach nicht gebrauchen. Und die Gesellschaft will das so, dass man seine Person auf die Funktion reduziert.

Falk D.

@LeSmou: „Wenn der Abkömmling einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers führt…“

Martin III.
16 Jahre zuvor

man soll ja keine vorschnellen urteile fällen ohne die fakten zu kennen, okay, aber wieso hier ernsthaft leute den sohn in schutz nehmen wollen mit hinweis auf das berufsleben…

ich bin auch ein schwer gestresster mensch in leitender funktion, aber wenn meine mutter spurlos verschwunden wäre und der vater tot, dann würde ich schon die paar minuten für die nötigen telefonate zusammenbekommen, das hat nichts mit stress oder nervigen kunden zu tun, kein mensch arbeitet 24h rund um die uhr.

Aufsicht
16 Jahre zuvor

Jeder hat seinen eigenen Tellerrand…

16 Jahre zuvor

Ich finde es eigentlich auch sehr bestürzend, wie viel Verständnis hier in den Kommentaren für den Sohn gezeigt wird. Umso mehr, als so viele dieses lächerliche IT-Argument verteidigen. Nichtmal bei einem Arzt, der in der Notaufnahme Turnusdienst schiebt, würde ich eine derartige Kaltschnäuzigkeit in Schutz nehmen.

Was ich an der Sache an sich traurig finde ist, dass es eine solche Entfremdung überhaupt gibt. Egal, wer nun die ‚Schuld‘ trägt.

Und nochwas: Wenn der Sohn noch einigermaßen normal tickte, würde er zumindest sagen, dass er keine gute Beziehung zu den Eltern hatte, aber nicht seinen Job als Grund für sein Desinteresse angeben und dann auch noch so tun, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Schockreaktion? Vielleicht im Bezug auf den Tod des Vaters. Aber die verschwundene Mutter? So geschockt kann ich gar nicht sein, dass ich mich da einfach umdrehe und wegsehe.

Jan
16 Jahre zuvor

Ich bin auch in der IT Branche, ich muss mir diese Ausrede unbedingt merken ^^

Louffi
16 Jahre zuvor

Die Mutter meines Stiefvaters liegt gerade im Sterben. Mein Stiefpaps hat drei Brüder. Einer in den USA, der kommt jetzt rüber. Ein Bruder am gleichen Wohnort, der sich null kümmert und dem das am Allerwertesten vorbeigeht (der aber schonmal Sachen aus ihrer Wohnung geräumt hat). Einer in Norddeutschland, der am Telefon nur gesagt hat „Na, dann hat sie’s ja bald hinter sich.“ Nett. Mein Stiefpaps ist derjenige, der täglich mehrmals bei ihr im Krankenhaus ist, sich um sie kümmert und sich über jede Regung freut, die sie noch zeigt.

Bine
16 Jahre zuvor

Meine Mutter ist im vergangenen Jahr verstorben. Wir drei Kinder hatten alle eine intensive Beziehung zu ihr, jedes auf seine Weise, untereinander aber wenig Kontakt.
Mein Bruder, der ihr „Liebling“ war, konnte sich um nichts kümmern, es hieß immer nur: Bine, mach Du mal, ich muss arbeiten (er ist selbständig), habe viele Termine….. Er ließ mir und meiner jüngeren Schwester völlig freie Hand; im Endeffekt war und bin ich diejenige, auf deren Namen alles läuft, die den ganzen Stress, die Rennerei und Telefoniererei hatte und noch hat.
Mein Bruder verhielt sich ähnlich wie der Sohn hier, auch wenn das Andere nicht verstehen können, ich kann sein Verhalten irgendwo nachvollziehen (bis auf die Ignoranz bezügl. des Verschwindens seiner Mutter).

Liebe Grüße
Bine

Fred
16 Jahre zuvor

Hoffentlich hat der „Sohn“ keine Kinder. Es gruselt mir bei dem Gedanken.

16 Jahre zuvor

Ähm, ich bin auch „ITler“.
Habe täglich mit dummen Usern und strunzdummen Vorgesetzten zu tun. Aber das ist keine Ausrede um so mit einem verstorbenen Elternteil umzugehen. Davon möchte ich mich dann doch distanzieren.

16 Jahre zuvor

[…] ITler gefühlslose Workaholics? Nachdem ich den Beitrag “Herr Maurer” beim Bestatter-Weblog gelesen habe, war ich doch erstaunt. Wie kann man nur seine eigenen Eltern so behandeln, obwohl […]

16 Jahre zuvor

Wir wollen mal zu Gunsten des Mannes annehmen, dass er den Verlust einfach nicht an sich heranlassen konnte.

Sonst wäre es ein Typ, der in dieser Geschichte bei VS-Geheim mal einen Notruf getätigt hat:
http://steel.twoday.net/stories/2854616/

Die Leute haben eine gestörte Wahrnehmung der Realität. Alles dreht sich nur noch um die „Arbeit“.

NielsBo
16 Jahre zuvor

Ich vermute der Sohn wird einfach überfordert sein und sich in die Arbeit flüchten. Das geht im IT besonders leicht, das wir ITler (bin selbst einer) zu 99% unsere Arbeit supergerne machen und diese auch gleichzeitig noch unser Hobby ist. Wenn man dann so ein gutmütiger Hilfsbereiter ist der dem Nachbarn zum x-ten mal die Viren von seiner geklauten XP-Kiste löscht dann braucht man diese „Haut aus Stahl“.

Natürlich haben andere Berufsgruppen auch Stress, aber ich denke dass gerade Selbstständige in der EDV enorm unter Druck stehen. 24 Stunden Bereitschaft ist ja schon normal, und an freien Tagen sucht man dann im Internet nach Infos um sich weiterzubilden. Beziehungen und Freizeit leiden enorm, man muss sich wirklich zwingen da mal einen Punkt zu machen.

Der Spruch „Verträge auf hoher Ebene“ ist jedoch absolut peinlich. 🙁




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